Eigentlich sagen die Blicke ja schon alles. Eine Ex-Kollegin betritt ihre vormalige Wirkungsstätte, sagen wir, eine Redaktion. Natürlich wird sie begeistert und freundlich begrüßt – doch es kann durchaus passieren, dass die alten Kumpels und Kumpelinnen sich sehr bald wieder hinter ihre Bildschirme zurückziehen und so aussehen, als hätten sie entsetzlich viel zu tun. Die Besucherin weiß ja nicht, dass auf dem Schirm dieser ehemaligen Kollegen gerade Tarotkarten zu sehen sind und die Leute ziemlich viel Zeit für ein Schwätzchen hätten, wenn sie ratschen wollten. Sie bekommt es auch nicht mit, dass die alten Kollegen, kaum ist sie weg, sich womöglich die Mäuler zerreißen über sie. Warum? Weil sie so neidisch sind. Weil sie auch so gerne das Verlagshaus fröhlich verließen, hinaus in den Frühlingstag zur freien Verfügung.
Gut möglich, dass all die fest angestellten Menschen doch nur eine vage Ahnung haben, was ihre Kollegin zu Hause eigentlich macht, wie sie ihre Tage und Nächte und Wochenenden tatsächlich gestaltet und ob sie ihre Arbeitssituation wirklich ununterbrochen genießen kann. Was sie sich vorstellen: Ach, die kann doch tun, was sie wann will. Sie kann lange, lange schlafen, braucht nie einen Wecker, weil sie die U-Bahn nicht erreichen muss. Sie muss mittags nicht in die grässliche Kantine, und kein Vorgesetzter belauert sie, ob sie womöglich gerade am Telefon eine Freundin trösten muss, deren Typ weggelaufen ist. Denn die ehemalige Kollegin darf zu Hause arbeiten!
Zu Hause arbeiten. Ein Traum, denken alle. Man kann zwischendurch staubsaugen und spülen, man stopft die Wäsche im Keller genau dann in die Maschine, wenn sie frei ist und kein anderer Mieter anrückt mit seinem gefüllten Korb. Gut, man arbeitet zwischendurch mal ein bisschen, wenn´s regnet oder so – doch dann trifft man bald wieder eine Freundin zum Kaffee im Café, und man hat dazu alle Zeit der Welt.
Es wird Zeit, die Realität des zu Hause Arbeitens zu schildern. Wer zu Hause arbeitet, lebt häufig ausschließlich von dem, was er dort verdient. Das heißt, dass kein Arbeitgeber die Hälfte seiner Krankenkassenkosten übernimmt. Dass er, wenn er Ferien macht, keinen Cent verdient – und wenn er krank ist, erst recht nicht. Vielleicht verdient der Heimarbeiter auch nur dann Geld, wenn er Aufträge bekommt. Vielleicht muss er sehr kämpfen, Aufträge zu bekommen, und vielleicht können auch Firmen, die ihm lange Zeit Aufträge verschafft haben, plötzlich keine mehr erteilen. Oder, und auch das passiert: Ein Freiberufler hat eine Idee, investiert Zeit und Geld, um seine Gedanken zu untermauern und seine Recherchen zu vertiefen – und dann liefert er sein Konzept ab, doch der Adressat sagt, vielen Dank, das ist ja sehr schön, aber wir können das derzeit nicht brauchen, und ein paar Wochen später stellt sich heraus, dass das Thema schlicht geklaut wurde.
Zu Hause zu arbeiten ist manchmal jedoch großartig, zum Beispiel für Mütter mit sehr kleinen Kindern, die still im Bettchen liegen, nur ab und zu schreien, natürlich nie dann, wenn sich die Mutter gerade sehr zu konzentrieren versucht. Die Mutter braucht nicht mühsam Babysitter zu suchen, die Mutter kann sogar zwischendurch den Kinderwagen durch die Straßen schieben und muss nie fürchten, dass eine Tagesmutter ausfällt oder im Kindergarten gestreikt wird, Läuse krabbeln oder die Schule ausfällt. Wer zu Hause arbeitet, ist präsent, ist verfügbar.
Es kann allerdings auch passieren, dass die Mutter nicht mehr so ruhig ist, weil der ferne Chef dringend auf ihre Mail wartet, doch das Kind gerade Durchfall hat. Oder aber, dass die Frau immer unruhiger wird, weil kein Chef wartet, weil es keine Aufträge gibt und einfach überhaupt keinen einzigen Cent.
Diese Person benötigt dann schon ein äußerst stabiles Nervenkostüm und eine Menge Zuversicht, zu Hause weiter produktiv arbeiten zu können und sich nicht verzweifelt nach einem Job zu sehnen, zu dem man brav jeden Morgen sehr früh aufstehen muss und von dem man weiß, dass die nächste Miete auf jeden Fall gezahlot werden kann.
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